Mit der Rikscha zum Christopher Street Day

von Jürgen Meier/ Willi Ehrmann

In den Tagen vor dem Umzug haben wir in den von uns betreuten Sozialeinrichtungen und bei privat wohnenden Menschen mit Mobilitätseinschränkungen nachgefragt, ob Interesse an einer Fahrt zum CSD besteht. Die Resonanz war teils vorsichtig und unsicher, manchmal ablehnend, oft aber zustimmend– und so standen wir am Veranstaltungstag mit fünf Rikschas bereit, um unsere Gäste auf eine besondere Ausfahrt mitzunehmen.

Nicht allen erschloss sich der Anlass des Umzugs vollständig. Manche konnten den Reden bei der Abschlusskundgebung nicht folgen oder wollten lieber die friedliche Stimmung genießen. Und genau das war möglich: ein Tag voller Gemeinschaft, Wärme und Lebensfreude. Die Sonne blinzelte durch die Wolken, der Wind spielte mit den Haaren, und die niederrheinische Landschaft zeigte sich von ihrer schönsten Seite.

Nach dem offiziellen Teil des CSD setzten wir unsere Fahrt fort – vorbei an den Obstplantagen von Schloss Bloemersheim, dem bewohnten Schloss und dem Ausflugslokal Samannshof. Unsere Gäste lächelten, staunten, genossen. Am Ende des Tages kamen alle wohlbehalten und glücklich wieder zu Hause an – erfüllt von Eindrücken, Begegnungen und dem Gefühl, mittendrin gewesen zu sein.

Doch für einen unserer Rikscha-Piloten war dieser Tag noch mehr. Er war zum ersten Mal beim CSD – aus ganz persönlichen Beweggründen:

„Ich war dieses Jahr zum ersten Mal beim Christopher Street Day. Nicht, weil ich selbst queer bin – sondern weil ich nicht länger nur zusehen wollte. Die Entwicklungen in den USA machen mir Angst: Menschen werden dort wieder offen diskriminiert, ihre Rechte beschnitten, ihre Existenz infrage gestellt. Und das nicht nur von radikalen Randgruppen, sondern mit Rückhalt aus Teilen der Gesellschaft und der Politik. Das ist erschreckend. Ich habe das Gefühl, dass diese Welle der Intoleranz auch zu uns herüberschwappen könnte – wie so viele gesellschaftliche Strömungen aus den USA. Und ich will nicht warten, bis es hier genauso weit ist. Ich will jetzt Haltung zeigen. Ich will nicht, dass Menschen in meiner Umgebung sich verstecken müssen, Angst haben oder sich allein fühlen. Deshalb war ich beim CSD in Neukirchen-Vluyn. Weil ich glaube, dass es gerade in kleineren Städten wichtig ist, sichtbar zu sein. Weil ich zeigen will: Du bist nicht allein. Weil ich hoffe, dass meine Anwesenheit jemandem Mut macht. Und weil ich mir wünsche, dass wir eine Gesellschaft bleiben – oder werden – in der jeder Mensch frei und sicher leben kann, egal wen er liebt oder wie er sich identifiziert.“

Bei allem Farbenfrohen und Fröhlichen des CSD geht es auch um ein Bekenntnis zu den leisen Tönen. Nicht diejenigen sollen sich durchsetzen, die am lautesten schreien, die Intoleranten, die lediglich eigene Interessen Verfolgenden. Diesen Ton trifft auch ein Plakat, das seit einigen Wochen an verschiedenen Stellen in Neukirchen-Vluyn zu sehen ist: „Die Menschlichkeit kennt keine Alternative.“

Der CSD in Neukirchen-Vluyn Tag hat gezeigt, wie viel möglich ist, wenn Menschen sich bewegen – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Radeln ohne Alter steht für Teilhabe, für Begegnung und für Menschlichkeit.

Und eben auch für Haltung.

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